„Vor den Toren tobt das Leben“

Das zivile Umfeld der Militärsiedlung – historisch

Die Bevölkerung eines Lagerdorfes am Limes (Vicani Castrorum) war entscheidend bestimmt durch die örtliche Garnision und ihre Bedürfnisse. Im Umfeld eines jeden dauerhaften Militärpostens bildete sich mit der Zeit eine fest zivile Siedlung aus, indem sich der begleitende Tross von Marketender (lixae), bestehend aus Händlern, Handwekern, Frauen und Familienangehörigen niederließen.

Streifenhaussiedlung

Die Lagerdörfer (Vici) waren in ihrer Gestalt an eine feste, vom Militär vorgegebene Bauform gebunden. Die Wohn- und Geschäftshäuser waren parzellenartig entlang der Ausfallstraßen der Kastell angeschlossen. Diese Bauten, Streifenhäuser genannt, bestanden zumeist aus einer Holzfachwerkkonstruktion und waren mit der schmalen Kopfseite zu Straße hin orientiert, da die Vorderfront den höchsten „Verkehrwert“ besaß. In den vorderen Räumen waren so auch etwaige Verkaufs- und Werkräume untergebracht. Im hinteren Bereich befand sich dann noch ein privater Wohn,- Schlaf- und Essbereich.

Bewohner und Gewerbe in den Lagerdörfern

Reges Treiben dürfte das Marktleben vor den Kastelltoren bestimmt haben

An den Garnisonsplätzen bildeten sich eine vom Militär geprägte zivile Grenzgesellschaft aus, die mit den Soldaten in einer sowohl sozialen und religiösen als auch ökonomischen engen Beziehung stand.
Neben den Soldatenfrauen und Gefährtinnen (focaria) lebten auch noch weitere Familienangehörige von Militärs in der Nähe der Lager. Im 3.Jahrhundert wurde das bisher strenge Eheverbot, das für aktiven Soldaten galt, zunehmend in der Praxis gelockert. Die „wilden“ Beziehungen wurden weitestgehend toleriert und eine offizielle Heirat nach Dienstende war bloß eine reine Formsache. In dieser Zeit wurde auch den Soldaten ein verstärkter Kontakt und Aufenthalt der Soldaten bei ihren Familien oder Liebschaften gestattet. Auch Veteranen blieben so häufig nach Ende ihrer Dienstzeit ihrem alten Stationierungsort, der für sie zur Heimat wurde, treu.
Der Aufenthalt der Soldaten diente dazu vor allem dem Vergnügen und der Zerstreuung vor dem harten Leben in den Lagern, sei es in den zahlreich vorhandenen Wirtsstuben und Garküchen (mit den dort oft vorhandenen „leichten Mädchen“) oder in den inzwischen häufiger nachgewiesenen Arenen, in denen wohl zur Truppenunterhaltung neben den klassischen Gladiatorenvorführungen auch wandernde „Fronttheatergruppen“ gastierten.
Ein weiteres attraktives Freizeitzentrum für die Zeit nach dem Dienstschluss stellte das stets vorhandene Badehaus (balneum) dar, das über den eigentlichen Sinn der Hygienesicherung (zum Erhalt der Kampfkraft) auch Raum und Gelegenheit von Zerstreuung, privaten und geschäftlichen Gesprächen und sportlicher Betätigung war.

Das zivile Handwerk stellt das Rückgrad des Militärs dar

Daneben wurde das Waren- und Dienstleistungsangebot der Lagerdörfer durch Handwerker und Händler abgerundet, die sich auf die Nachfrage der Soldaten spezialisiert hatten. Die finanziell gut ausgestatteten Soldaten stellten für sie einen profitablen und sicheren Absatzmarkt dar.
So finden sich in den Kastelldörfern am Limes Nachweise von Gewerbetreibenden aller Art: Bauhandwerker, Metzger, Schmiede, Töpfer, Schuster, Schreiner, Kaufleute und Transportunternehmer.
Räumliche Schnittstelle zwischen den Soldaten und den Zivilsten war stets der regelmäßig stattfindene Markt, der sich direkt von dem jeweiligen Haupttor des Kastells erstreckte. Dieser Marktort bot sich damit auch als ein Dreh- und Umschlagplatz von Waren aus dem provinzialen Hinterland des Limes und seines germanischen Vorfeldes an, wo vor allem Nahrungsmittel und Informationen durch Durchreisende und germanische Händler ausgetauscht wurden.
In diesen Siedlungen muss von einem regen, bunten und geschäftigen Treiben ausgegangen werden.

Bei der historische Bedeutung der vici gilt es abschließend nochmals hervorzuheben:

  • Diese Militärsiedlungen entlang der Grenze glichen einem, in sich geschlossenen und selbstgenügsamen, gesellschaftlichen Mikrokosmos der antiken Welt.
  • Die Präsenz der Frauen und der zivilen Gesellschaft waren nicht nur einer praktischen Notwendigkeit geschuldet, sondern sie repräsentierten symbolhaft den Soldaten, wofür es sich zu kämpfen lohnt und waren daher auch ein (unbewusstes) Mittel des militärisch-psychologischen Moralerhalts.
  • die Lagerdörfer waren ein wichtiger Träger der römischen Kulturverbreitung und Anerkennung (Romanisierung) und ein wichtiger Rekrutierungspool der Armee

Literatur

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