„Für Rom ist alles möglich“

Dr. Marcus Reuter aus Xanten stellt in seinem Vortag über die antiken Garnisonstruppen Welzheims alte Selbstverständlichkeiten infrage

Am meisten war wohl der Referent selbst überrascht, dass er jemals zu seinem Promotionsthema als Referent, und dann ausgerechnet aus Welzheim, angefragt werden würde. Dr. Marcus Reuter, Archäologe aus Xanten, hat sich vor über zehn Jahren, bevor er sich mit der Einrichtung des großen neuen Römermuseums befasste, intensivst mit einer bis dahin unbekannten, und vielfach in Misskredit geratenen Truppengattung auseinander gesetzt: Den sogenannten Numeri-Einheiten, die neben den anderen üblichen Hilfstruppen, wie den Kohorten und berittenen Alen, für die Sicherheit an der römischen Außengrenze, so auch am obergermanischen Limes Sorge trugen. „Umso mehr war ich über die Anfrage des Historischen Vereins und seiner Römergruppe erfreut!“, so Reuter. Darüber hinaus ist in Welzheim inschriftlich eine Numerus Brittonum L (…) nachgewiesen, auf welche sich die Abteilung des Historischen Vereins als Vorbild beruft und dessen Erbe sie in der Gegenwart pflegt. Das „L“ verweist wohl auf den Bachlauf der Lein. Umso mehr schien es der Gruppe sinnvoll, den Experten auf diesem Gebiet um den weiten Weg nach Welzheim zu bitten. Auch die Zuhörerschaft nahm zum Teil weite Anfahrten auf sich, um dem Vortrag des Historischen Vereins im vollbesetzten Ratssaal beizuwohnen.
Die Numeri-Einheiten am Limes, wie die in Welzheim, wurden in Britannien rekrutiert, um eine effektive und kostengünstige Grenzsicherung aufrechtzuerhalten. Die klassischen Legionen waren dafür schlichtweg überqualifiziert. Dabei, so arbeitete Reuter in seinem Vortrag heraus, gebe es keinerlei archäologischen Indizien dafür, dass die Brittoneneinheiten irreguläre, zwangsrekrutierte barbarische Volksaufgebote waren. Dieses wirkmächtige, aber unzutreffende Bild, dass vornehmlich der Althistoriker Mommsen im 19.Jahrhundert prägte, zeige sich zum Teil bis heute noch. Die gut untersuchten Fundplätze von Numeruskastellen weisen keinen Unterschied zu anderen Truppenstandorten auf. Es sei vor allem die zeitgenössische Brille des Zeitalters kolonialer Hilfskontingente europäischer Mächte wie Frankreich gewesen, die in die Antike rückprojiziert wurden. Tatsächlich verloren die Numeri- Einheiten im Laufe der Zeit ihren ethnischen Rekrutierungshintergrund und spätestens in der zweiten Generation waren wohl kaum mehr Britannier in den Reihen einer Truppe wie der „NBL“, sondern Bewohner des Limesumlandes selbst.
Darüber hinaus hat sich der Referent auch von neuem mit der Frage des Limesverlaufes und der Lage der beiden großen Kastelle befasst. Dabei kommt der Lein als eigentlichem Grenzverlauf, als eine Art natürliche Demarkationslinie eine entscheidende Rolle zu. Womöglich wurde der Limes in seiner letzten Ausbaustufe mit Wall und Graben recht spät ausgebaut, zu einer Zeit als das Ostkastell vermutlich schon aufgelassen war. Das würde auch neues Licht in der Frage nach der vorgeschobenen Lage des Ostkastells jenseits der Grenzlinie geben und in die Tatsache, dass im ganzen heutigen Stadtgebiet die Grenzanlage wohl ausgespart war. Der Vortrag von Herrn Reuter gab insofern neue Anstöße und viele neue Fragen für die Limesgeschichte nicht nur in Welzheim. Reuter sicherte auch zu, seine Überlegungen in einer der nächsten Jahreshefte des Vereins nochmals zu formulieren und gab insgesamt zu erkennen, dass Roms Grenzpolitik und Militärstrategie wohl pragmatischer und unkonventioneller war, als man heute annimmt. Welzheim ist mit seinem Anteil an der Limesgeschichte ein Paradebeispiel hierfür.